Psychotherapie

Zerrüttete Familien: Wie man den Faden nicht abreißen lässt.

Viele Themen entzweien die Gesellschaft wie kaum jemals zuvor. Langjährige Beziehungen zerbrechen, familiäre Bindungen stehen an der Kippe. Wie soll man aber damit umgehen, wenn geliebte Menschen plötzlich in eine Schwarz/Weiss-Optik geraten: Wenn Du nicht meiner Meinung bist, bist Du gegen mich! Anbei ein paar Denkanstösse.Haltungen, die helfen können, in Kontakt zu bleiben:

– Ich mag vielleicht nicht Deiner Meinung sein, aber ich mag Dich.
– Du bist mehr als Dein Standpunkt.
– Ich gehe wohlwollend davon aus, dass Du Dir Deine Meinung nicht fahrlässig gebildet hast. (Das heißt aber nicht, dass ich mich dieser Meinung anschließen muss.)
– Alles was ich Dir zumute, tue ich, weil ich es Dir gleichzeitig zutraue. Dich zu belügen, würde bedeuten, dass ich Dich schonen muss (weil ich Dir nicht zutraue, Widerspruch auszuhalten).
– Auch wenn… (zB Du eine Meinung vertrittst, die im Widerspruch steht zu allen Werten, an die ich glaube…) hab´ ich Dich trotzdem lieb / bleib ich trotzdem mit Dir verbunden.
– Ich wähle meine Worte mit Bedacht so, dass niemand einen Gesichtsverlust erleidet während des Konflikts.
– Ich verliere nicht die Beherrschung. (Würde ich, wenn ich zB mit der Polizei diskutiere auch nicht tun; diese Disziplin ist möglich.)
– Ich versuche meine Argumente in der Ich-Form zu formulieren (Ich hab viel gelesen und bin zu dem Schluss gekommen, dass….; Ich. hab diese oder jene vertrauenswürdige Quelle; Etc.)


Zwei paradoxe Interventionen, die Spielraum schaffen:

– Ein Kompliment für das Trennende (zB „Ich bewundere Deine Hartnäckigkeit, mit der Du Deine Argumente verfolgst. Ich bin beeindruckt von Deinem Kampfgeist. Etc.)
– Eine hartnäckige Liebeserklärung: „Dieses und Jenes mag ich so gern an Dir (für dieses und jenes bin ich so dankbar), dass selbst diese Auseinandersetzung nichts dran ändern kann!“


Den Faden nicht abreißen lassen:

– Auf welchen Ebenen, die auch ohne ein Gespräch über das heikle Thema funktionieren, kann man noch Kontakt halten? (zB wandern gehen, heimwerken, sich am Enkelkind erfreuen…)
– Aktiv Angebote machen, diesen Spielraum zu nutzen.
– „We agree to disagree“. Manchmal ist das die einzige Einigung, die sich noch erzielen lässt. Die Differenz explizit anzuerkennen, erlaubt allen Beteiligten eine „konstruktive Resignation“. 

 …und wenn das alles nicht hilft:

– Nach Abwägung aller Möglichkeiten ist es manchmal zu riskant, im direkten Kontakt zu bleiben. Die Gefahr, dass man sich unrettbar zerstreitet, ist dann zu groß. Um die Beziehung langfristig zu schützen, kann man sich kurz- und mittelfristig auch eine Beziehungspause verordnen.
– Einen „Liebesbrief“ (oder Beziehungsbrief) für bessere Zeiten schreiben und versiegelt aufbewahren. Nach der Pandemie, wenn die aktuellen Argumente keinen Kontext mehr haben und der Anlass für die Konflikte Vergangenheit ist, ist es gut an etwas anknüpfen zu können, was nie verloren gegangen ist.
– Und manchmal willigen alle auch ein, den Konflikt in einer neutralen Umgebung nochmal zu bearbeiten, zB in  Familientherapie