Psychotherapie

Was ist eigentlich ein Trauma?

Ein Trauma ist laut Duden „eine starke psychische Erschütterung, die (im Unterbewusstsein) noch lange wirksam ist“. Aber was heißt das eigentlich genau?

 

Kämpfen, Flüchten, Totstellen

Um zu verstehen, was bei einem Trauma passiert, gehen wir ein paar hunderttausend Jahre in der Menschheitsgeschichte zurück – in die Steinzeit. Der Steinzeitmensch war noch kein aufgeklärter Intellektueller, sondern ein „Bauchmensch“. Um zu überleben, war es günstig, in Sekundenbruchteilen auf mögliche Gefahren zu reagieren. Die Evolution hat ihm daher (wie den meisten Tieren) bei drohender Gefahr zwei blitzschnelle Reaktionen beschert: Kämpfen oder Flüchten. Alle zwei Reaktionen laufen unwillkürlich ab (also ohne unser Zutun) und zünden jeweils eine Kaskade an Hormonen, Botenstoffen, usw.

Ein Beispiel: Der Steinzeitmensch geht durch den Urwald. Er hört ein verdächtiges Knacken. Die Kaskade beginnt zu zünden: ein enorm hohes Level an Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol staut sich in der Blutbahn an,  das Herz pumpt stärker und schneller, die Arterien verengen sich, die Atemfrequenz erhöht sich und der gesamte Organismus polt sich auf Angriff oder Flucht. Wenn diese massive Aktivierung aber nicht „entladen“ werden kann, weil der Steinzeitmensch zum „Totstellen“ verurteilt ist, bildet sich ein Trauma.

 

Nicht jedes traumatische Erlebnis wird zu einer Traumatisierung

Banal gesagt: taucht ein Säbelzahntiger auf und der Steinzeitmensch kann kämpfen oder flüchten, erlebt er wahrscheinlich kein Trauma. Taucht ein Säbelzahntiger auf und der Steinzeitmensch kann weder kämpfen, noch flüchten, sondern muss sich totstellen, ist die Wahrscheinlichkeit, eine posttraumatische Belastungsstörung zu erleiden, hoch.

Warum ist das so? Auch wenn wir etwas sehr Aufregendes erleben, kann das Geschehen mit Hilfe der Großhirnrinde interpretiert, eingeordnet, mit einem Gefühl versehen und im Langzeitgedächtnis abgespeichert und sogar wieder aufgerufen werden. Wir machen eine Erinnerung und eine Geschichte daraus.  („Ein Säbelzahntiger-Angriff!! Und dann bin ich gelaufen wie der Blitz!“) Nicht jede heftige Erfahrung ist also ein Trauma!

Bei einem traumatischen Erleben wird die Großhirnrinde offenbar übergangen. Die Erinnerung kann nicht nicht abgespeichert und in einen sinnvollen zeitlichen Zusammenhang gebracht werden („Das war damals und heute ist es anders.“) Das Erlebte wird also nicht zur Erinnerung, sondern schwirrt wie ein freies Radikales umher und kann durch einen „Trigger“ jederzeit re-aktiviert werden, also ob es gerade wieder passiert.  („Ein Säbelzahntiger-Angriff! Ich muss sterben!“)

Der Steinzeitmensch, der einem Säbelzahntiger davongelaufen ist, geht durch den Wald und wenn es knackt erinnert er sich an seine Flucht, weiß aber, dass er jetzt in Sicherheit ist.
Der traumatisierte Steinzeitmensch geht durch den Wald und wenn es knackt, fühlt er die gleiche Todesangst wie damals. Obwohl auf der äußeren Bühne der Wald ganz friedlich ist, die Vöglein zwitschern und der Wind sanft weht, erlebt er auf der inneren Bühne ein Drama („Flashback“).

 

Häufige Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung

Der traumatisierte Steinzeitmensch beginnt sich zu verändern: wenn jeder Waldspaziergang solche Folgen haben kann, muss er dauernd auf der Hut sein. Er entwickelt eine so genannte „vegetative Übererregbarkeit“ (Reizbarkeit, Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, vermehrtes Schwitzen, etc.) Er schläft schlecht, weil Albträume ihn plagen, er hat Stimmungsschwankungen, fühlt sich oft ohnmächtig, Selbstzweifel nagen an ihm, er will jeden Waldspaziergang um jeden Preis vermeiden, sondert sich von der Horde ab, kann kaum noch entspannen, erlebt Dauerstress und so fort….

Wurde das Trauma nicht von einem Säbelzahntiger ausgelöst, sondern von einem Menschen („man-made“) verdoppelt sich der Stress. Jetzt ist nicht nur das Vertrauen in den Wald erschüttert (eine lebenswichtige Umwelt) sondern auch in die Gruppe (lebenswichtiges Beziehungsumfeld).

Ob ein traumatisches Erlebnis zu einer Traumatisierung wird, hängt von vielen Faktoren ab:

WAS ist passiert? (Lawine oder Vergewaltigung)
WIE ALT war die betroffene Person? (Kind oder Erwachsen)
WIE LANGE dauerte die Belastung? (Minuten oder Tage)
WIE HÄUFIG wurde die Belastung erlebt? (Einmal oder wiederkehrend)
WIE hat das Umfeld reagiert? (Einfühlsam oder distanziert)
WIE sicher waren die Lebensumstände vor und nach der Belastung? (Sicher oder prekär)
WIE LIEBEVOLL wurde Unterstützung bei der Bewältigung erlebt? (Liebevoll oder lieblos)
WIE HEFTIG sind körperliche Folgeschäden?
WIE STABIL war die Psyche vor der Belastung? (Resilient oder instabil)

Trauma-Heilung

Im Unterschied zum Steinzeitmenschen haben wir heute gute Werkzeuge zur Behandlung einer Traumatisierung: Trauma-Therapie kann helfen, das Erlebte zu verarbeiten und im besten Fall sogar über sich selbst hinauszuwachsen. Die Bewältigung der traumatischen Erfahrung kann manchmal sogar neue Ressourcen und Fähigkeiten hervorbringen und bei manchen Menschen zu mehr Tiefe, Reife und Weisheit führen („Traumtic Growth“).